Schulen und Kindertagesstätten ideal für Ernährungsprävention
Die Deutschen haben ein dickes Problem: Studien zufolge gilt in Deutschland jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche als übergewichtig – Tendenz steigend. Diese Entwicklung ist auch weltweit zu beobachten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht in einer 2003 veröffentlichten Studie bereits von einer Epidemie und hat Adipositas als chronische Erkrankung eingestuft. Was man tun kann, um die Ernährungsgewohnheiten von Kindern dauerhaft zu ändern, zeigt das Beispiel der Sophie-und-Hans-Scholl-Gesamtschule in Wiesbaden. Ihr ganzheitliches Konzept der „Esswerkstatt“ kann für viele Schulen und Kindertagesstätten Vorbild sein.
Übergewichtige Kinder benachteiligt
Politiker halten die Situation für bedenklich: Für Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, ist Ernährung eine wesentliche Grundlage, wenn es um die Startchancen und Chancengleichheit in einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft geht. Übergewichtige Kinder leiden vermehrt an ernährungsbedingten Krankheiten und sind nicht selten in ihrer psychosozialen Entwicklung eingeschränkt. Die Ministerin hat deshalb, neben anderen Projekten, die „Plattform für Ernährung und Bewegung e.V.“ initiiert, die sich für eine gesunde Ernährungsweise in Kombination mit Bewegung einsetzt.
Auf europäischer Ebene verfolgt die EU-Kommission das gleiche Ziel: Mit ihrer Aktionsplattform „Ernährung, körperliche Bewegung und Gesundheit“ möchte sie dem zunehmenden Problem der Fettleibigkeit bei Kindern und Erwachsenen begegnen. Beide Initiativen werden von anderen gesellschaftlichen Gruppen wie Industrie, Ärzten, Krankenkassen oder Sportvereinen unterstützt. Gemeinsam suchen sie nach Wegen, wie die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen verbessert werden können.
Prävention in Kindergärten und Schulen ansetzen
Das Ernährungsverhalten wird in den ersten Lebensjahren entscheidend geprägt. Den größten Einfluss auf Ernährungsgewohnheiten und Esskultur haben die Eltern. Welche Ernährungsweise sie vorleben, hängt stark von ihrer eigenen Kompetenz im Umgang mit Essen und von ihrem sozialen Status ab. Kinder aus sozial schwachen Familien und Migrantenfamilien sind überdurchschnittlich von Ernährungsproblemen betroffen.
Die Elternhäuser sind mit Aufklärungsmaßnahmen oder Programmen jedoch nur schwer zu erreichen. Deshalb ist es Ziel von Initiativen wie den beiden Plattformen, mit Präventionsmaßnahmen in den Kindertagesstätten und Schulen zu beginnen. In den nächsten Jahren sollen bundesweit bis zu 10.000 Schulen mit Ganztagsbetreuung entstehen. Hier bietet sich die Chance, das Thema Ernährung in all seinen Facetten zunehmend in den Schulalltag zu integrieren: angefangen beim schuleigenen Kräutergarten über Kochkurse bis hin zur Lebensmittelkunde im Unterricht.
Die Frage nach dem Wie: gesunde Ernährung praktizieren Kinder wissen in der Regel, welche Lebensmittel gesund und welche ungesund sind. Die Schwierigkeit liegt darin, die Ernährungsgewohnheiten dauerhaft zu verändern. Es helfen weder Aufklärungsschriften noch theoretische Unterweisungen – gesunde Ernährung muss praktiziert werden. In Form von Mittagstischen, gemeinsamen Frühstücken oder Sinnes- und Geschmacksschulungen. Inzwischen gibt es zahlreiche Konzepte und Initiativen, die in Kindergärten und Schulen Esskultur vermitteln oder Ernährungsschulungen durchführen: etwa Eurotoques, ein Zusammenschluss von Spitzenköchen, oder die weltweite Bewegung „Slow Food“, die auch speziell auf Jugendliche zugeschnittene Aktionen durchführt. Was fehlt, sind langfristig angelegte Programme.
Wiesbadener Schule sollte „Schule machen“
Kinder sollen gesundes Essen als attraktiv erleben. Und das am besten täglich. Diese These vertritt die Dr. Rainer Wild-Stiftung, Stiftung für gesunde Ernährung. Es genügt nicht, ihnen gesunde Kost aufzutischen. Um Ernährungsgewohnheiten dauerhaft zu verändern, müssen ihre Sinne positiv angesprochen werden. Kinder sollten die Möglichkeit haben, selbst zu kochen, und so auch die handwerklichen Seiten der Essenzubereitung kennen zu lernen. Deshalb geht der Dr. Rainer Wild-Preis 2005 an die Sophie-und-Hans-Scholl-Gesamtschule, die anderen Einrichtungen als Vorbild dienen soll. Mit einem Konzept wie der „Esswerkstatt“ kann Kindern Ernährung theoretisch und praktisch als spannendes Thema vermittelt werden. Essen soll Genuss und Freude bereiten und Spaß machen. In diesem Sinne ist das Beispiel der Wiesbadener Gesamtschule ein Vorbild für andere Einrichtungen und sollte – im Wortsinne – Schule machen.