Schafft sich die Mahlzeit ab? Neues Buch der Stiftung erschienen

Mahlzeiten sind alltäglich, jedoch keineswegs banal. Sie sind weitaus komplexer als sie auf den ersten Blick scheinen. Grund genug, um im Jahr des 20-jährigen Bestehens der Dr. Rainer Wild-Stiftung, Stiftung für gesunde Ernährung, den Mahlzeiten ein eigenes Buch zu widmen. Das im VS Verlag erschienene Werk „Mahlzeiten. Alte Last oder neue Lust?“ greift – erstmals im deutschsprachigen Raum – die Fachdiskussionen rund um das soziale Phänomen der Mahlzeit auf und beleuchtet diese aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Beiträge erstrecken sich über drei Themenbereiche: Mahlzeiten im Allgemeinen, Familiensowie Schulmahlzeiten. Die 17 Autorinnen richten ihren Blick dabei immer auch auf sich verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Zuständigkeiten und eine sich wandelnde Alltagspraxis.

Veränderungen in der Arbeitswelt und in den Familienstrukturen führen auch zu Veränderungen im Essverhalten. Der Außer-Haus-Verzehr nimmt zu, ebenso wie der Verzehr von Convenience-Produkten. Parallel dazu sinkt, Ergebnissen der letzten Zeitbudgetstudie des Statistischen Bundesamtes zufolge, die Häufigkeit gemeinsamer Mahlzeiten. Diesen schleichenden Wandel im Umgang mit Mahlzeiten beobachten auch die beiden Herausgeberinnen Gesa Schönberger und Barbara Methfessel. Bleibt die Frage: Schafft sich die Mahlzeit ab?

Um das zu beantworten, gilt es, Mahlzeiten zu definieren und deren Charakteristika auszumachen. Gesa Schönberger gibt im ersten Teil des Buches einen kurzen Abriss über verschiedene, für die Wissenschaft bedeutende Definitionen von Mahlzeiten. Demnach symbolisieren Mahlzeiten Gemeinschaft und Zugehörigkeit, sind jedoch auch Mittel sozialer Distinktion. Sie sind gekennzeichnet durch Regeln, die die Vorbereitung und Durchführung von Mahlzeiten ebenso betreffen wie das soziale Verhalten am Tisch.

Der zweite Abschnitt widmet sich vor allem der Familienmahlzeit. Das traditionelle Mahlzeitenbild der bürgerlichen Kleinfamilie lässt sich heute oftmals nur noch an Wochenenden und Festtagen beobachten. Das gemeinsame Mittagsessen zu Hause findet wochentags kaum noch statt. Stattdessen wird das Abendessen zur Hauptmahlzeit und bietet so die Möglichkeit zum gemeinsamen Austausch. Lange Wege zwischen Arbeit und Wohnung, steigende Arbeitszeiten, gesellschaftliche Verpflichtungen und die große Zahl von Ein- und Zweipersonenhaushalten verstärken diese Entwicklung. Häufig sind Frauen aufgrund zunehmender Berufstätigkeit auch nicht mehr in der Lage beziehungsweise bereit, die alleinige Versorgung ihrer Familie zu übernehmen. Auf den Tisch kommen deshalb vermehrt zeitsparende und weniger arbeitsaufwendige Gerichte.

Diese gesellschaftlichen Veränderungen spiegeln sich auch in den Diskussionen um die Schulverpflegung wider, die vielfach gefordert, von vielen jedoch auch abgelehnt wird – sehen sie darin doch „das Aus“ für die Familienmahlzeit. Fest steht, dass mit der wachsenden Zahl an Ganztagsschulen auch die Anforderungen an die Mittagsverpflegung steigen. Eltern und andere Verantwortliche müssen Vertrauen in Schulmahlzeiten aufbauen (können). Für Kinder und Jugendliche sind dabei aber nicht nur das Angebot der Speisen wichtig, sondern auch sehr viele andere Faktoren, wie das Ambiente, eine angenehme Atmosphäre und stimmige zeitliche Rahmenbedingungen.

Festzuhalten bleibt, dass die Mahlzeit heute vielfach nicht mehr dem Idealbild einer traditionell bürgerlich-familiären Mahlzeit entspricht. Sie ist jedoch keineswegs abgeschafft, sondern befindet sich in einer starken gesellschaftlichen Umbruchphase. „Daher ist es notwendig“, so Gesa Schönberger, „neue Wege zu gehen, um beispielsweise die Angebote der Außer-Haus-Verpflegung und der Gemeinschaftsverpflegung qualitätsbewusst und gesund zu gestalten.“ Die Diskussionsbeiträge des Buchs liefern dazu einen wesentlichen Beitrag.

Gesa Schönberger, Barbara Methfessel (Hrsg.): Mahlzeiten. Alte Last oder neue Lust? VS Verlag 2011, Wiesbaden, 159 Seiten, ISBN 978-3-531-17959-9, 29,95 €.
Mit Beiträgen von Ute Alexy, Kathrin Audehm, Silke Bartsch, Kerstin Clausen, Mathilde Kersting, Jacqueline Köhler, Ingrid-Ute Leonhäuser, Uta Meier-Gräwe, Barbara Methfessel, Anke Möser, Kristin Pelz, Ulla Simshäuser, Kirsten Schlegel-Matthies, Sabine Schmidt, Gesa Schönberger, Gertrud Winkler und Uta Zander.

Dr. Rainer Wild-Stiftung

Die Dr. Rainer Wild-Stiftung, Stiftung für gesunde Ernährung, versteht sich als Kompetenzzentrum für gesunde Ernährung und Ansprechpartner für Fachleute, Wissenschaftler und Multiplikatoren. Auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse will sie ein tieferes Verständnis für die existenzielle Bedeutung gesunder Ernährung schaffen und setzt sich aktiv für einen zeitgemäßen und verantwortungsbewussten Umgang mit Ernährung ein. Mit einer umfassenden Herangehensweise beleuchtet sie das Thema Ernährung aus verschiedenen Blickwinkeln. Im Mittelpunkt ihrer Projekte, Publikationen und Veranstaltungen stehen Ernährungsbildung, Verbraucherverhalten, Esskultur und Geschmacksforschung. Die Dr. Rainer Wild-Stiftung wurde 1991 von Prof. Dr. Rainer Wild, einem Unternehmer aus der Lebensmittelindustrie, in Heidelberg gründet. Sie ist eine gemeinnützige und unabhängige Stiftung des bürgerlichen Rechts. Gemäß ihrer Satzung ist sie operativ tätig und nicht fördernd.

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