Rückblick 22. Heidelberger Ernährungsforum
Lipide im interdisziplinären Diskurs - Bedeutung für Gesundheit und metabolische Erkrankungen
Fett in Lebensmitteln: Kalorienbombe oder wichtiger Nahrungsbestandteil?
Heidelberg, 18.11.2018 – Fett galt viele Jahrzehnte als Kalorienbombe und als Hauptverursacher von Übergewicht und Fettsucht. Aktuell wird die Stoffklasse der Lipide viel differenzierter betrachtet: Die lebensnotwendigen Aufgaben, die die Fettsäuren im Organismus erfüllen, sind stärker in den Fokus gerückt. Auch das 22. Heidelberger Ernährungsforum am 16. und 17 November 2018 widmete sich dieser Thematik und stieß auf großes Interesse. Zahlreiche namhafte Experten diskutierten konstruktiv, aber auch kontrovers, wie die Rolle der Fette für die menschliche Ernährung zu bewerten ist und welche Empfehlungen sie zur Zufuhr geben können.
„Unser Ziel ist es, aktuelle Themen zur gesunden Ernährung aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten. Die Stiftung soll eine Plattform für die Vernetzung aller Disziplinen sein“, hob Professor Dr. Rainer Wild zum Auftakt der Veranstaltung hervor. Diesem Anspruch wurde auch das 22. Heidelberger Ernährungsforum voll gerecht. Die mehr als 150 Teilnehmer erhielten umfangreiche Informationen über die Rolle der Nahrungsfette in der (Kultur-)Geschichte, der Lebensmitteltechnologie, Medizin und Ernährungsphysiologie. Auch psychologische und soziologische Aspekte wurden aufgezeigt.
Zwischen gutem Geschmack und schlechtem Gewissen
Während ein fetter Leib früher als Zeichen von Wohlstand galt und mit Stolz getragen wurde, ist er heute Ausdruck der Maßlosigkeit, führte Professor Dr. Johann Klotter aus. In unserer modernen Gesellschaft müssten wir uns unsere Stellung und unser Ansehen erarbeiten, beispielsweise durch Mäßigung und Diszipliniertheit: Gesunde Ernährung werde zur Pflicht, Vegetarier und Veganer fühlten sich moralisch überlegen. Das Fett und auch die Lebensmittelindustrie, der wir „das Schlaraffenland“ zu verdanken haben, sind zum Feind geworden, so Klotter.
Die Mehrheit der Menschen glaubt, „Fett ist Gift“, konstatierte auch Professor Dr. Gunther Hirschfelder. Nach seiner Überzeugung sind wir Deutschen „Fett-Analphabeten“, weil wichtige Funktionen dieser Substanzen für den Stoffwechsel den Menschen (noch) nicht bekannt sind. Historisch seien wir Fett-Fans, denn 600.000 Jahre habe die Menschheit zu wenig Fett gehabt, seit dem 15. Jahrhundert hätten „Rubens-Figuren“ eine hohe Akzeptanz genossen, erst seit einer Generation sei Fett zum Problem in unserer Gesellschaft geworden. „Fett ist nicht gut und nicht schlecht“, es ist eine Frage der richtigen Wahrnehmung und des richtigen Umgangs mit ihm“, lautete sein Fazit.
Vielfältige Funktionen – erwünschte und unerwünschte
In der Lebensmittelverarbeitung sind Fette meist erwünscht. Den Ausführungen von Professor Dr. Reinhold Carle zufolge sind sie wichtig als Träger von Aromen und Vitaminen, als Emulgatoren, für die Stabilisierung von Schäumen, zur Bildung eines optimalen „Mundgefühls“ und vielem mehr. Allerdings sei zu beachten, dass sich durch unvollständige Härtung oder starke Erhitzung auch die unerwünschten – weil ungesunden – Transfette bilden können.
Für den menschlichen Organismus ist die Aufnahme bestimmter Fettsäuren essentiell. Professorin Dr. Sarah Egert präsentierte den Teilnehmern die zahlreichen Funktionen, die die Fettsäuren als Energielieferant und -speicher, als Strukturbildner und im Stoffwechsel haben. Sie betonte, dass insbesondere die mehrfach ungesättigten Omega-3 Fettsäuren eine Schutzwirkung auf das Herz-Kreislaufsystem hätten, u.a. da sie die Triglyceride und den Blutdruck senken können und entzündungshemmende Wirkungen haben.
Eine gute Quelle für diese wünschenswerten Fettsäuren stellen fettreiche Fische wie Makrele, Lachs und Hering dar, so Egert. Des Weiteren gab Frau Professor Egert auch einen Überblick über die historische Entwicklung der Fettempfehlungen für Deutschland und die USA. Sie betonte, dass die Fettsäurenzusammensetzung des Nahrungsfetts entscheidend sei, weniger die Fettmenge („Qualität vor Quantität“).
Zu hoher Konsum, zu wenig „gesunde“ Fettsäuren
Insgesamt 30 bis 35% Prozent der täglich aufgenommenen Energiemenge sollten aus der Fettzufuhr stammen, lautet der Richtwert der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Dieser Wert wird nach Erhebungen von 2006 bei Männern (35,5 Prozent) überschritten und liegt bei Frauen (34,1 Prozent) im oberen Bereich. Die Werte entsprechen einem täglichen Fettkonsum von 87 Gramm bei den Männern und 62 Gramm bei den Frauen(Nationale Verzehrsstudie II). Doch nicht nur die insgesamt hohe Fettaufnahme ist ein Problem, sondern vor allem der zu hohe Anteil gesättigter Fettsäuren – meist aus tierischen Lebensmitteln – bzw. die zu niedrige Aufnahme mehrfach ungesättigter Fettsäuren.
Professor Dr. Ibrahim Elmadfa wies darauf hin, dass sowohl die Deutsche Gesellschaft für Ernährung als auch die Weltgesundheitsorganisation WHO eine pflanzenbetonte, vielseitige Mischkost als die richtige Wahl ansehen und als Dauerkost für den gesunden Menschen keine Low-Carb oder Low-Fat Diäten empfehlen.
Ab wann wird der Körper krank?
Professor Dr. Hans Hauner legte dar, welche Wirkung Qualität und Quantität der Fette in unserer täglichen Nahrung auf die Prävention von Fettsucht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes melltius haben. Seinen Ausführungen zufolge ist die Datenlage nicht immer eindeutig, sondern zeigt oft nur Tendenzen auf. So sei beispielsweise nach Auswertung zahlreicher Studien kein evidenter Zusammenhang zwischen dem Fettanteil der Nahrung (bis maximal 40 Energie-Prozent) und Adipositas erkennbar.
Die höchste Lebenserwartung liegt Hauners Analysen zufolge bei einem Fettanteil der Nahrung von 35 Energie-Prozent. Eine Verringerung des Fettkonsums habe nur einen leicht positiven Effekt auf ein Erkrankungsrisiko. Die Mortalitätsrate sinke bei Aufnahme mehrfach ungesättigter Fettsäuren. Sie steigt laut Hauner, wenn Kohlenhydrate durch Fette und Eiweiße tierischen Ursprungs ersetzt werden. Bei Zufuhr von Trans-Fettsäuren ist die Mortalitätsrate stark erhöht.
WHO: Adipositas ist weltweit drittgrößte „Bürde“
„Wir essen einfach falsch“, zeigte sich Professor Dr. Stefan Lorkowski überzeugt. In vielen Industrienationen sei die Zufuhr langkettiger gesättigter Fettsäuren sowie einfacher Kohlenhydrate zu hoch und die Menschen bewegten sich zu wenig. Entscheidender Faktor für eine Verbesserung ist nach seiner Einschätzung nicht der Austausch einzelner Nährstoffe oder eine einseitige Diät, sondern die Qualität von Fetten und Kohlenhydraten und die Verwendung frischer Lebensmittel.
„Adipositas ist von der WHO nach Rauchen und Gewalt als drittgrößte Belastung der Gesundheit eingestuft worden“, eröffnete Professor Dr. Stephan Bischoff sein Referat. Er legte dar, wie effektiv eine langfristige Umstellung der Ernährung zur Prävention von Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein kann. Für eine Gewichtsabnahme ist eine Reduktion und Kontrolle der Nahrungsfette unerlässlich, da sie wesentliche Energieträger sind, so Bischoff. Auch die Art der Fette gelte es zu modifizieren. Generell müsse deutlich mehr Wert auf die Prävention von Adipositas und nicht erst auf die medikamentöse Behandlung gelegt werden. Daneben gelte es, weitere Einflussfaktoren, wie die Entwicklung der Darmflora, im Auge zu behalten. Auch er empfahl als Ernährungstherapie eine mediterrane Diät, statt einzelne Komponenten zu modifizieren.
Omega-3-Fettsäuren in der Diskussion
Unterschiedliche Meinungen hatten die Experten in der Frage, welche Wirkung eine hohe Zufuhr oder Supplementierung von Omega-3-Fettsäuren in der Schwangerschaft oder bei Kindern und Jugendlichen hat. Während Hauner die Datenlage als nicht eindeutig einstufte, wiesen Professor Dr. Clemens von Schacky und Dr. Volker Schmiedel auf zahlreiche positive Effekte einer „optimierten Omega-3-Versorgung“ hin.
Von Schacky präsentierte reduzierte Frühgeburtenraten, eine in vielerlei Hinsicht bessere Entwicklung des Kindes und eine Reduktion von Erkrankungen nach Supplementation der Fettsäure bei Schwangeren. Auch Schmiedel verwies auf zahlreiche Studienergebnisse, die die positiven Wirkweisen der Omega-3-Fettsäure beispielsweise zur Behandlung von ADHS, Depressionen oder auch Schuppenflechte bei Heranwachsenden belegten.
Abgerundet wurde das Thema von Professor Dr. Gunter Eckert, der Untersuchungsergebnisse über den Einfluss von Omega-3-Fettsäuren auf das alternde Gehirn vorstellte. Analysen hätten gezeigt, dass Menschen nach einer langfristig hohen Aufnahme mehrfach ungesättigter Fettsäuren weniger altersbedingte Veränderungen aufwiesen. Eckert kam zu dem Schluss, dass ein hoher Konsum von Fischöl oder die Einnahme von Kapseln gegebenenfalls das Risiko für Alzheimer und kognitive Beeinträchtigungen im Alter senken kann. Der Benefit sei aufgrund der vielen weiteren Einflussfaktoren aber nur schwer einschätzbar und eine Heilung nicht möglich.
Was essen wir morgen?
Einen Ausblick auf die künftige Ernährung wagte Magister Hanni Rützler. Zu erkennen sei eine Sehnsucht zurück zu den Anfängen, zum Handwerklichen und zum Lokalen, zu Erlebniswelten und Genuss. Essen sei etwas Emotionales und gehe unter die Haut. Rützler zeigte sich aber auch überzeugt, dass Wissenschaft und Hersteller den Konsumenten künftig mehr Antworten auf aktuelle Probleme und Wünsche geben müssten. Herkömmliches würde stärker hinterfragt, Nachhaltigkeit gefordert. Die Macht des Internets mache eine Kommunikation auf Augenhöhe erforderlich.
Das Themenspektrum der zweitägigen Veranstaltung war enorm und umfasste noch weitere Fachgebiete: vom nachhaltigen, zertifizierten Ölpalmen-Anbau über Fettqualität sowie -analytik oder Algen zur Deckung des Omega-3-Bedarfs bis hin zu konkreten Ernährungsempfehlungen im Klinikbereich oder bei Leistungssportlern.
Abgerundet wurde das 22. Heidelberger Ernährungsforum durch eine aufwändige Produktpräsentation. Dreißig verschiedene Öle standen zur Verkostung bereit und konnten von den Teilnehmern mit allen Sinnen wahrgenommen werden – so vielfältig wie die Wortbeiträge der Referenten.
Veranstalter
Dr. Rainer Wild-Stiftung
Mittelgewannweg 10
Tel.-Nr. 06221 7511 200
E-Mail: info@gesunde-ernaehrung.org
Ansprechpartner für die Medien
Dr. Antje Louis