Die Zeit ist reif für gemeinsame Ziele
Ernährungsberater aus ganz Deutschland diskutierten am 27. und 28. September 2006 in Heidelberg die aktuelle und zukünftige Situation der Branche. Ziel der Veranstaltung auf Einladung der Dr. Rainer Wild-Stiftung war es, Möglichkeiten für eine gemeinsame Kommunikation zu suchen und zu hinterfragen. „Das sind wir dem Markt schon allein aus Gründen des Verbraucherschutzes schuldig“, so Doris Steinkamp, Vorsitzende des Verbandes der Diätassistenten. Sie verwies damit auf die steigende Zahl auch teilweise fragwürdiger Angebote der Ernährungsberatung. Ausführlich diskutiert wurden deshalb ein gemeinsamer öffentlicher Auftritt, gemeinsame Kernbotschaften und ein verbindliches Prüfzeichen für qualifizierte Ernährungsberatung. Selten zuvor wurde der Wunsch nach berufsgruppen- übergreifender Zusammenarbeit der Netzwerke und Einzelberater so deutlich wie bei diesem 10. Heidelberger Ernährungsforum, das unter dem Motto „Ernährungsberatung heute und morgen: Konkurrenz oder Kooperation?“ stand. Denn nur so könne Transparenz und Vertrauen geschaffen und der gesellschaftliche Nutzen von Ernährungsberatung erhöht werden.
„Wir haben schon viel erreicht“, so Tagungsleiterin Prof. Dr. Ingrid-Ute Leonhäuser in ihrer Einführung. Sie erinnerte daran, dass die Ernährungsberatung erst seit den 1980er Jahren als eigenständiger Beruf etabliert sei. Wichtige Meilensteine, wie z. B. eine berufsständische Interessenvertretung und zuletzt eine Einigung über Qualitätsstandards auf Bundesebene, seien erreicht worden. Dennoch sei der Markt der Ernährungsberatung für den Kunden wenig transparent.
Sowohl das Angebot selbst, als auch die Anbieterqualifikation bilden ein großes Spektrum ab, so Dr. Gesa Schönberger und Andrej Hänel von der Dr. Rainer Wild-Stiftung, Heidelberg. Am bekanntesten seien große kommerzielle Anbieter von Gewichtsreduktionsprogrammen. Darüber hinaus sei das Angebot in seiner Breite nahezu unüberschaubar – vom Internet über die Konzernhotline und den Taschencomputer bis hin zur Selbsthilfegruppe. Die Vielzahl an Qualitätsaussagen und Prüfsiegeln trage zudem zu Verwirrung bei. Hinzu komme, dass ständig neue Anbieter im Markt auftreten. Mit best practise-Beispielen verdeutlichten sie, wie man durch gute Positionierung des Angebotes erfolgreich sein kann.
Der Kunde setzt Ernährungsberatung mit Diät und Verzicht gleich, berichtete Doris Steinkamp in ihrem Referat. Seine Erwartungen würden vielfach nicht erfüllt. Ernährungsberatung biete die Hilfe zu einer Verhaltensänderung, nicht den schnellen Weg zu Schönheit und Glück. Der Mehrwert dieser Dienstleistung sei im Gegensatz zu der eines Steuerberaters schwer zu vermitteln. Dennoch müssen die Berater mit Blick auf die Nachfrage immer auch ihr Angebot kritisch hinterfragen.
Kritik an den eigenen Reihen kam auch von Stephanie Wetzel, Inhaberin eines Büros für ernährungswissenschaftliche Dienstleistungen in Berlin. Sie betonte, wie wichtig es für das Image des Berufsstandes sei, professionell aufzutreten. Dazu gehöre, ökonomische Interessen und kundenorientierte Beratung gleichberechtigt zu bewerten. Ein neues Selbstverständnis der Berater sei zur Verbesserung der Situation notwendig.
Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage war auch Thema eines Workshops unter der Leitung von Dr. Andrea Lambeck, Vorsitzende des Verbandes der Ökotrophologen. Die Nachfrage nach qualifizierter Ernährungsberatung erscheine angesichts der zunehmenden Isolierung der Menschen, einem gesundheitsschädlichen Lebensstil und einer individualisierten Verantwortung für Ernährung erheblich größer, als das derzeitige Angebot. Dabei sei jedoch zwischen Ernährungstherapie, -beratung und -information zu unterscheiden. Der Markt der Ernährungstherapie allein sei nicht groß genug, um den qualifizierten Beratern eine sichere ökonomische Basis zu bieten.
Was unter qualifizierter Ernährungsberatung zu verstehen ist, finde sich in der Rahmenvereinbarung des Koordinierungskreises für Qualitätssicherung in der Ernährungsberatung und Ernährungsbildung, so Dr. Ute Brehme von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Rahmenvereinbarung wurde unter Beteiligung der DGE im Dialog mit zahlreichen Institutionen und Verbänden ausgehandelt. Mit der Vereinbarung sei ein wichtiger Schritt zum Schutz des Verbrauchers erreicht worden.
Über ein zukünftiges, gemeinsames Siegel oder Logo als Zeichen von Qualität wurde in einem Workshop unter der Leitung von Dr. Karin Bergmann, Food Relations, Puchheim diskutiert. Prüfzeichen und Logos seien eine gute Möglichkeit, Transparenz zu schaffen. Ob dies von einer neuen Dachorganisation für Ernährungsberatung oder von einer Arbeitsgemeinschaft vorhandener Institutionen ausgehen sollte, blieb weitgehend offen. Einigkeit herrschte jedoch darüber, dass eine gemeinsame Kommunikationsstrategie notwendig sei.
Vor Aktionismus und vorschnellen Projekten warnte Dr. Eike Messow von der Breuninger Stiftung, Stuttgart in seinem Referat „Kooperationen managen“. Der wichtigste Schritt sei die Einigung der Kooperationspartner auf gemeinsame Ziele und Werte. Messow ermutigte, dass gemeinsame Pläne nach einer sorgfältigen Vorbereitung schnell umgesetzt werden können. Für den Aufbau einer Kooperation stünden professionelle Berater zur Verfügung.
Welche Vorteile eine Kooperation der qualifizierten Ernährungsberater haben könnte, wurde anschließend in einem Workshop herausgearbeitet, der von Thomas Männle, Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung, Wettenberg geleitet wurde. Die Vorteile der Kooperation sollten zugleich deren Ziele sein, so der Tenor der Gruppe. Genannt wurde Arbeitsteilung, Wissens- und Informationstransfer, Profilierung der Dienstleistung, Etablierung des Berufsbildes als Marke sowie das Schaffen einer ökonomischen Basis für Berater. Als erstes gemeinsames Ziel wurde schließlich ein „virtuelles Netzwerk“ gefordert. In diesem sollten sich existierende Initiativen unter gemeinsamen, übergeordneten Werten zusammenfinden.
In einem gemeinsamen Auftreten liege auch der Schlüssel zu einer erfolgreichen Lobbyarbeit, so Kommunikationsberaterin Dr. Gunda Backes. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene sei noch nicht angekommen, was ein Ernährungsberater biete, was Kunden erwarten und welche Ergebnisse erzielt werden können. Lobbyarbeit finde aber nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Länder- und kommunaler Ebene statt. Insofern sei jeder Berater auch Lobbyist für Ernährungsberatung. In einem Workshop wurden Akteure und Zielgruppen für gemeinsame Lobbyarbeit definiert und erste Schritte und Maßnahmen diskutiert. Zentrale Kernbotschaften sollten ausgearbeitet werden. Mit diesen wollte man sich dann an die Zielgruppen wenden und damit „eine Botschaft aus 100 Mündern“ verbreiten, so Dr. Andrea Lambeck.
Die Veranstaltung schloss mit dem Wunsch der Teilnehmer an die Vertreter der Berufsverbände und an den Koordinierungskreis, den begonnenen Weg zu mehr Kooperation fortzusetzen. Dies bedeute, mit externer Unterstützung gemeinsame Kommunikationsinstrumente festzulegen, mit dem Ziel, die Ernährungsberatung als Branche zu stärken. Tagungsleiterin Leonhäuser schloss mit dem positiven Resümee: „Qualität setzt sich letztendlich durch.“ Und Dr. Gesa Schönberger, Geschäftsführerin der Dr. Rainer Wild-Stiftung, Heidelberg ermutigte: „Gehen Sie diesen Weg weiter – das ist uns ein sehr wichtiges Anliegen.“
Andrej Hänel, Dr. Gesa Schönberger
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