58. Wissenschaftlicher Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
Rückschau der Dr. Rainer Wild-Stiftung
Ernährung heute – individuelle Gesundheit und gesellschaftliche Verantwortung
Vom 17. bis 19. Februar fand der 58. Wissenschaftliche Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in digitaler Form statt. Die spannenden Plenarvorträge repräsentierten dabei den Titel der Veranstaltung „Ernährung heute – individuelle Gesundheit und gesellschaftliche Verantwortung“. Im ersten Plenarbeitrag „Personalisierte Ernährung: Perspektiven und Sachstand“ nahm Professorin Dr. Hannelore Daniel zunächst Bezug zur im Titel der Veranstaltung erwähnten individuellen Gesundheit (z.B. Wohlbefinden). Um spezifische Ernährungsempfehlungen für eine Person geben zu können, die beispielsweise die Auswahl von Lebensmittels betreffen, bedient sich die personalisierte Ernährung genetischer bzw. metabolischer Faktoren einer Person, die mit weiteren Daten zum Gesundheitszustand, Lebensstil und Vorlieben verarbeitet werden (Näheres zur personalisierten Ernährung im Rahmen unseres Life Science Dialoges). Prof. Daniel. stellte in ihrem Vortrag zunächst die historische Entwicklung dieses komplexen Themengebietes seit den Anfängen im Jahr 1988 dar und schloss mit dem Blick in die Gegenwart von Konsument*innen. Dabei wurde deutlich, dass Konsument*innen beim Einkauf von Lebensmitteln in ihren Kaufentscheidungen nicht nur ihre individuelle Ernährung verwirklichen, sondern auch ethische, ökologische und soziale Aspekte mitberücksichtigen, wie etwa Tierwohl. Für den Supermarktbesuch der Zukunft könne sie sich vorstellen, dass Verbraucher*innen am Eingang eine persönliche Auswahl an für sie bei der Auswahl von Lebensmitteln wichtigen Aspekte treffen, was ihnen dann einen auf ihre Einstellungen und Werte zugeschnitten Einkauf ermöglicht. Der zweite Plenarvortrag „Von der Ampel bis zum Stoppschild: Welche Evidenz gibt es für regulatorische Maßnahmen?“ von Dr. med. Peter von Philipsborn zeigte neben einer Übersicht über Ansätze zur Förderung gesunder Ernährung auf Bevölkerungsebene, wie Ernährungsunterricht in der Schule und der Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln, auch Möglichkeiten der politischen Umsetzung (z.B. Steuern) sowie die Wirkung solcher regulatorischeren Maßnahmen im internationalen Kontext auf. Damit weitete Dr. von Philipsborn den Blick vom Individuum auf die gesellschaftliche, politische Ebene. Mit dem Beitrag „The importance of the human diet for a sustainable world” begab sich Professor Lars-Oliver Klotz im dritten Plenarvortrag in die globale Vogelperspektive und beschrieb anhand von Studienergebnissen die Bedeutung globaler sowie nationaler Ernährungsgewohnheiten (z.B. Konsum tierischer Lebensmittel) für eine nachhaltige Welt.
Ein zentraler und aufgrund seiner dringlichen Aktualität sehr bereichernder Programmpunkt war das „Symposium zur Nachhaltigkeit“, moderiert von Professorin Dr. Britta Renner. Denn für die Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (https://www.bmz.de/de/themen/2030_agenda/) ist bereits im vergangen Jahr die letzte Dekade angebrochen. Umso notwendiger und drängender ist es, dass konkrete Empfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung formuliert werden. Im „Symposium zur Nachhaltigkeit“ standen dabei die zentralen Ergebnisse und Empfehlungen des Gutachtens zur Politik für nachhaltigere Ernährung des Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Fokus. Neben der Präsentation der „Big Four“ einer nachhaltigeren Ernährung: Gesundheit, Umwelt, Soziales und Tierwohl, von Dr. Lieske Voget-Kleschin, erläuterte Professor Dr. Achim Spiller einige Argumente zur wissenschaftlichen Legitimation staatlicher Eingriffe in das Ernährungssystem, wie zum Beispiel Lenkungssteuern, mit denen das Verhalten von Bürger*innen in eine gesellschaftlich wünschenswerte Richtung beeinflusst werden kann. Prof. Spiller beschrieb außerdem, dass sich laut einer repräsentativen Umfrage die Akzeptanz bei Bürger*innen für staatliche Eingriffe allmählich erhöht.
In Ihrem Vortrag „Warum wir essen, was wir essen“ erläuterte Professorin Britta Renner die Notwendigkeit einer fairen Ernährungsumgebung, da Entscheidungen nicht nur bewusst und reflektiert getroffen werden, sondern auch unbewusst im sogenannten „Auto-Pilot“. Damit sich Verbraucher*innen nachhaltiger ernähren können, ist eine faire Uumgebung mit leichteren Auswahlmöglichkeiten für nachhaltigere Lebensmittel entscheidend. Frau Professorin Dr. Ulrike Arens-Azevêdo stellte abschließend mit der Empfehlung des Beirates für eine beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung ein zentrales Handlungsfeld des WBAE-Gutachtens, anhand des Beispiels Berlin, dar. Interessierte können das WBAE-Gutachten über folgenden Link abrufen: https://nachhaltigere-ernaehrung-gutachten.de/blog/
Weitere interessante Inhalte wurden in den Sessions zur Ernährungsverhaltensforschung präsentiert. Professorin Dr. Christine Brombach und Dr. Karin Bergmann stellten ihre Untersuchung zur „Wertschätzung für Lebensmittel und Mehrzahlungsbereitschaft aus Sicht der Verbraucher“ vor. Hierbei zeigten sie anhand der Studienergebnisse, dass Wertschätzung für Lebensmittel von Verbraucher*innen als eine Haltung über das Essen beschrieben wird und dass subjektive Bewertungsaspekte von Lebensmitteln (bspw. Geschmack, Frische Regionalität, Nährstoffe) ein Hauptkriterium für Wertschätzung darstellen. Das auch im Vortrag genannte Bewertungskriterium „Preis“ haben wir in Dr. Rainer Wild-Stiftung im Rahmen der digitalen Veranstaltung „Tischgespräch“ im vergangenen Jahr aufgegriffen und mit Expert*innen (u.a. Dr. Karin Bergmann) diskutiert: Link zum Tischgespräch.
Ausgehend von globalen und nationalen ernährungsassoziierten Problemen (bspw. ernährungsmitbedingte Erkrankungen, Klimawandel, mangelndes Tierwohl) sind die Forderungen der Wissenschaft nach Veränderungen (Transformation) sehr deutlich. Dr. Eva Hummel beschrieb in Ihrem Vortrag, wie sich transformations-orientierte Forschung für ein zukunftsfähiges Ernährungsverhalten gestalten kann. Ein zentrales, gesamtgesellschaftliches Ziel dieser Transformationsprozesse ist die Steigerung von Wohlbefinden und Lebensqualität der Menschen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Einen Beitrag zur Zielerreichung kann ein zukunftsfähiges Ernährungsverhalten leisten, das gesundheitsförderlich, umweltverträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich tragfähig ist. Um diesen Prozess aus wissenschaftlicher Sicht zu unterstützen, ist die Vernetzung inhaltlicher Forschungsfelder (nachhaltigen Ernährung und Ernährungsverhalten) sowie die Vernetzung von empirischer Sozialforschung, Systemwissenschaft und Transdisziplinarität notwendig.
Das Minisymposium der Fachgruppe Ernährungsbildung, moderiert von Frau Professorin Dr. Silke Bartsch und Frau Professorin Dr. Christel Rademacher war partizipativ gestaltet. Nach einem einführenden Vortrag von Prof. Bartsch mit dem Titel „Ernährungsbildung stärkt Nachhaltige Entwicklung“ begaben sich die Teilnehmer*innen in Kleingruppen zur vertiefenden Diskussion über Bildungsaspekte von Essen und Trinken in verschiedenen Settings wie Kita, Schule und Sozialräumen (z.B. Gemeindehäuser, Quartiersmensen, Frauenhäuser). Im abschließenden, zusammenführenden Plenum konnten dann alle Teilnehmer*innen an den Diskussionsergebnissen der Kleingruppen teilhaben.
Neben den vielfältigen Vortragssessions waren zahlreiche interessante Poster-Vorstellungen ein weiterer Fokus des diesjährigen DGE-Kongresses. Mit den Präsentationen der anschaulich gestalteten wissenschaftlichen Poster aus den Themenfeldern Ernährungsverhaltensforschung, Lebensmittelwissenschaft, Epidemiologie, Ernährungsmedizin und Ernährungsbildung, hat sich ein direkter Einblick in die Forschungsvorhaben verschiedener Arbeitsgruppen ermöglicht. Vor allem der fachliche Austausch zwischen Referierenden und Publikum im Anschluss an die jeweiligen Poster-Präsentationen war für alle Beteiligten bereichernd.
Mit einem Poster über die Ursachen für den verschwenderischen Umgang mit Lebensmitteln bei jungen Erwachsenen griff Frau Maren Ann-Kathrin Sauter (Duale Hochschule Baden-Württemberg) eine für uns relevante Problemstellung auf. Sauter untersuchte dabei, aus welchen Gründen junge Erwachsene Lebensmittel entsorgen, die eigentlich noch für den Verzehr geeignet waren (vermeidbare Lebensmittelverluste). Sie kam zu dem Ergebnis, dass unter anderem zu hohe Einkaufmengen und nicht erfüllte Geschmackserwartungen Gründe für die Entsorgung von Lebensmitteln darstellen. In unserer Veranstaltung der Online-Reihe „Tischgespräch“ im vergangenen Jahr waren Lebensmittelverluste und diesbezügliche Verbrauchersensibilität zentrale Inhalte des Vortrages und der Expert*innen-Diskussion: Link zum Tischgespräch. Die Poster-Präsentation von Maren Ann-Kathrin Sauter war daher ein sehr interessanter Input.
Mit den Poster-Preisen würdigten die DGE und die Ernährungsumschau die Arbeit von fünf engagierten Wissenschaftler*innen in besonderem Maße. Im Themengebiet Public Health Nutrition überzeugte ein Poster über das Snackverhalten syrischer Flüchtlingskinder im Libanon (Therese Jeremias, Universität Hohenheim). In der Epidemiologie gewann ein Poster über den Fleischkonsum in der Schweiz in Abhängigkeit von u.a. Lebensstil und soziodemografischer Faktoren (Linda Tschanz, ETH Zürich). Im Themengebiet Gemeinschaftsverpflegung konnte ein Poster über Nudging aus Sicht des Gastes überzeugen (Carolin Diana Rossi, HAW Hamburg) und für das Gebiet Physiologie und Biochemie der Ernährung ehrte die DGE einen Posterbeitrag über einen Vitamin-E-Metaboliten (Martin Schubert, Universität Jena). Im Themengebiet Ernährungsberatung gewann ein Poster über ein Dokumentationskonzept für ernährungsbezogene Patient*innen-Daten im Kontext des Entlassungsmanagements den Preis der Ernährungsumschau (Mareike Krämer, Hochschule Fulda).
Auch die Fachgruppen der DGE präsentierten sich in verschiedenen Formaten. Eine noch recht neue und junge Fachgruppe ist die Early Career Scientists Group (ECSG). Ihre Zielgruppe sind Studierende, Promovierende, sowie wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und Postdocs. Auf dem diesjährigen Kongress veranstaltete die ECSG einen Science-Slam, bei dem Wissenschaftler*innen, dem Titel der Veranstaltung gemäß, ihre Forschung verständlich und unterhaltsam innerhalb von sieben Minuten präsentierten. Außerdem organisierte die ECSG ein abendliches Get-Together, bei dem sich die „Young Scientists“ angeregt austauschten und Zukunftsideen diskutierten.
Prof. Dr. Jakob Linseisen, Präsident der DGE, verdeutlichte die Intention des Kongresses in seinen Abschlussworten und bekräftigte: „Mit diesem Kongress fördert die DGE die Wissensentwicklung- und -verteilung. Sie sorgt dafür, dass sich Wissenschaftler*innen vernetzen, Fakten austauschen sowie Strategien diskutieren und ausloten“.
Die DGE bietet mit ihrem jährlichen Kongress seit jeher eine wichtige Plattform für den fachlichen sowie intergenerationellen Austausch. Die insgesamt sehr wertschätzende Atmosphäre unter den Teilnehmer*innen, Beteiligten und Vortragenden zeichnet diese Veranstaltung Jahr für Jahr aus.
Als Team der Dr. Rainer Wild-Stiftung empfanden wir den Wissenschaftlichen Kongress der DGE als sehr bereichernd und motivierend. Dafür ausschlaggebend war, dass die Veranstaltung Themen aufgriff, die aktuell auch in der Stiftung bearbeitet werden, wie u.a. Wertschätzung für Lebensmittel. Auch neu erlangte Impulse werden uns durch das Jahr begleiten. Die digitale Umsetzung der Veranstaltung ist in jedem Fall hervorragend gelungen.
Wir freuen uns auf die anknüpfende Vernetzung mit Referent*innen und Teilnehmer*innen des diesjährigen Kongress und schon jetzt auf den 59. Wissenschaftlichen Kongress der DGE im kommenden Jahr.
Den fünf Gewinner*innen der Poster-Preise gratulieren wir auf diesem Weg nochmal herzlich und wünschen viel Erfolg für die Zukunft. Informationen zu den Inhalten der Poster finden Sie hier: https://www.dge.de/nachrichten/detail/posterpreise-2021/
Weitere Informationen über den diesjährigen 58. Wissenschaftlichen Kongress der DGE erhalten Sie hier: https://www.dge.de/nachrichten/detail/58-dge-kongress-geht-erfolgreich-zu-ende/
Jana Dreyer