Foodwaste – Verbrauchersensibilität und Chancen am Point of Sale (Modellprojekt Rettungskühlschrank)
2. Tischgespräch, 22. Juli 2020
Den wissenschaftlichen Impuls führte Jana Dreyer, Ernährungswissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Stiftung mit ihrer Masterarbeit zum Modellprojekt „Rettungskühlschrank“.
Im daran anschließenden Expert*innen Gespräch tauschten sich aus:
Dr. Silke Lichtenstein, Diplom-Oecotrophologin und Geschäftsführerin der Dr. Rainer Wild-Stiftung
Jana Dreyer, Ernährungswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Dr. Rainer Wild-Stiftung
Patrik Eisenhauer, Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production (CSCP), Wuppertal
Dr. Benedikt Jahnke, Agrar- und Lebensmittelmarketing, Universität Kassel-Witzenhausen
Marlene Münsch, ConPolicy GmbH - Institut für Verbraucherpolitik, Berlin
Im Verlauf der komplexen Wertschöpfungskette von Lebensmitteln verbrauchen deren Herstellung und gegebenenfalls Verarbeitung wie auch die Bereitstellung wertvolle Ressourcen wie Energie und Wasser. Je nach Art des Produkts kann dieser Input einen erheblichen Umfang erreichen. Angesichts zunehmender Umweltbelastung, des Klimawandels und einer wachsenden Weltbevölkerung kommt die Lebensmittelverschwendung der Verschwendung knapper Ressourcen gleich. Daher kommt der Reduktion vermeidbarer Lebensmittelverluste (Food Waste) eine hohe Bedeutung als Stellschraube zu, um die dringend notwendige Verringerung der negativen Auswirkungen durch Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie auf Umwelt und Klima global voranzubringen. Aus diesen Gründen sollen laut Agenda 2030 vermeidbare Lebensmittelverluste bis dahin halbiert werden. Die nationale Strategie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft strebt dieses engagierte Ziel mithilfe verschiedener Aktionen an.
Im Hinblick auf wirkungsvolle Maßnahmen sind drei Tatsachen evident. Erstens zeigt sich, dass Verbraucher*innen als Verursacher vermeidbarer Lebensmittelverluste die höchste Relevanz haben, während etwa Hersteller oder Handel statistisch nur geringere Mengen produzieren. Deswegen liegt bei den Privathaushalten, als Endstufe der Wertschöpfungskette, das größte Potenzial, um vermeidbaren Food Waste zu verringern. Zweitens hat sich gezeigt, dass der Handel sich gut als Setting eignet, um Verbraucher*innen für die Problematik Food Waste zu sensibilisieren und sie nachhaltig bei dessen Vermeidung zu unterstützen. Drittens erwarten Kunden heute beim Lebensmitteleinkauf nicht nur einwandfreie Qualität und Frische der Produkte, sondern lückenlose Transparenz und mehr oder weniger umfassende Informationen über die Verkaufsware. Besonders gefragt sind aktuell Informationen über Herkunft und Herstellung, im Fokus stehen umwelt- und klimarelevante Aspekte, aber auch die Verschwendung von Lebensmitteln bewegt Verbraucher*innen zunehmend. Mit wachsender Konnektivität und zunehmendem Wissen ist Kund*innen heute zudem die direkte Kommunikation mit Herstellern und Händlern möglich, wodurch sie Erwartungen und Beschwerden direkt äußern oder diese über digitale Bewertungsportale oder andere Social-Media-Plattformen kundtun können. Vor dem Hintergrund des extremen Wettbewerbs der Handelsketten, sind Informationen für Kund*innen oder Aktionen zum Thema Reduktion von Food Waste seitens der Händler durchaus von hohem Eigeninteresse. Letztlich übersteigt der Nutzen der Maßnahmen zur Kund*innen-Bindung die Höhe des potenziell verlorenen Umsatzes, der theoretisch entstehen würde, wenn zu Hause weniger Lebensmittel weggeworfen würden.
Auf dieser Win-win-Situation zwischen Handel und Kundschaft basiert das Modellprojekt „Rettungskühlschrank“. In Anlehnung an bereits bestehende Sharing-Konzepte entstand ein innovativer Lösungsansatz, mit dem direkt im Kassenbereich einer Supermarkt-Filiale Lebensmittel mit kurzer Haltbarkeit, Schönheitsfehlern oder ähnlichem zur kostenlosen Mitnahme bereitgestellt wurden. Untersucht wurden unter anderem die Wertschätzung von Kund*innen für Lebensmittel und die Problemsensibilisierung generell sowie das Verständnis, dass die Verbraucher*innen vom gesetzlich vorgeschriebenen Mindesthaltbarkeits-datum haben.
Den „Rettungskühlschrank“ stellte die Mitarbeiterin der Dr. Rainer Wild-Stiftung, Jana Dreyer, in ihrem Impulsvortrag zum zweiten Tischgespräch mit dem Titel „Foodwaste – Verbrauchersensibilität und Chancen am Point of Sale“ vor. Daran anknüpfend diskutierte das Expertenpanel unter reger Beteiligung des Publikums zahlreiche Problem- und Fragestellungen rund um das Thema. Das Panel war sich einig, dass sowohl Verbraucher*innen als auch Handel bereits in hohem Maße für die jeweilige Mitverantwortung im Hinblick auf Lebensmittelverschwendung sensibilisiert sind und dass des Weiteren vor allem Hersteller, verarbeitende Betriebe und Handel bereits einige zielführende Maßnahmen erfolgreich umsetzen. Noch ungelöst, weil wenig aufgeklärt, sind jedoch die Hürden, die Verbraucher*innen offenbar daran hindern, ihre messbar hohe Motivation in die Tat umzusetzen. Ein Lösungsansatz kann die gezielte Unterstützung durch den Einzelhandel am Verkaufsort sein. Doch bedarf es einer breit angelegten Vielfalt ressourcenorientierter Maßnahmen, die zudem nur im Kontext von adäquater Bildung in allen Lebensphasen sowie einer wertschätzenden Kommunikation aller Beteiligten erfolgreich sein kann. Die Prozesse der Lösungsfindung begleitet und unterstützt die Dr. Rainer Wild-Stiftung auf allen diesen Ebenen.
Videomitschnitt des 2. Tischgesprächs der Dr. Rainer Wild-Stiftung
Kontakt
Jana Dreyer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
B.Sc. Ökotrophologie
M.Sc. Ernährungswissenschaften
Tel.: +49 6221 7511-260
jana.dreyer@gesunde-ernaehrung.org