An apple a day: Ernährung als Teil der ärztlichen Behandlung
1. Tischgespräch, 08. Juli 2020
Den wissenschaftlichen Impuls führte Jana Steindl, Oecotrophologin und Mitarbeiterin der Stiftung mit ihrer Forschungsarbeit „Ernährung als Teil der ärztlichen Behandlung- Einstellungen und Wahrnehmungen (angehender) Ärzte im beruflichen Kontext“.
Im anschließenden Expert*innen Gespräch waren:
Dr. Silke Lichtenstein, Diplom-Oecotrophologin und Geschäftsführerin der Dr. Rainer Wild-Stiftung
Laura Drösch, Studierende der Humanmedizin, Georg-August-Universität Göttingen
Jana Steindl, Oecotrophologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Dr. Rainer Wild-Stiftung
PD Dr. med Frank Jochum, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Evangelisches Waldkrankenhaus Spandau
Prof. Dr. Robert Ehehalt, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, Heidelberg
Dass Ernährung und Gesundheit in enger Beziehung stehen, ist unumstritten. Genauso unanfechtbar ist die Tatsache, dass Ärztinnen und Ärzte die zentrale Rolle als Ansprechpartner*innen für sämtliche gesundheitsbezogene Fragen spielen, auch die der Ernährung. Und: Ärztinnen und Ärzte sind sowohl für krankheitsvorbeugende als auch kurative Maßnahmen rechtlich legitimiert. Dennoch vermisst man diese Logik vielerorts in der Realität ärztlicher Versorgung. Obwohl sich Ernährung als Aufgabenbereich in den letzten Jahren innerhalb der Ärzteschaft immer weiter etabliert hat, wird Ernährung im Rahmen von Prävention und Therapie auch heute noch allzu oft gar nicht oder nicht im adäquaten Maße thematisiert. Obwohl die Leitlinien zahlreicher medizinischer Fachgebiete ausreichend wissenschaftliche Belege enthalten, die ein ernährungspräventives bzw. -therapeutisches Vorgehen in Klinik und Praxis rechtfertigen, ist den Verantwortlichen die Relevanz von Ernährung erst gar nicht bekannt oder sie wird nicht ausreichend berücksichtigt. Ebenso fehlen vielen Medizinerinnen und Medizinern die Kenntnisse über Verordnung oder Abrechnung ernährungsbezogener Leistungen. Folglich stehen sich im medizinischen Alltag Engagement und „blinder Fleck“ bei Ärztinnen und Ärzten gegenüber. In der Debatte darum scheinen die Ursachen auf der Hand zu liegen. Die Versäumnisse der Politik sind evident. Es fehlen die Strukturen und Mittel, die erforderlich wären, um Ernährung fest im Versorgungssystem und in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung zu verankern.
Doch über die tatsächlichen Zusammenhänge ist genau genommen wenig bis nichts bekannt, weil dazu ausreichend differenzierte wie aussagekräftige Studien und damit die Fakten fehlen. Literatur und auch Wirklichkeit sprechen dafür, dass das tatsächliche Ursachengefüge komplexer ist als die ökonomische und strukturelle Dimension. Das Gewicht beider Faktoren steht außer Frage, dennoch ist zu bezweifeln, dass allein vorhandene Strukturen und geregelte Kostenübernahme automatisch eine adäquate Ernährungsversorgung herstellen würden. Die bestehende Dialektik aus - trotz aller Mängel - sehr hohem und fehlendem Engagement bezüglich Ernährung unter Medizinerinnen und Medizinern deutet in diese Richtung.
Auch die hohe Zahlungsbereitschaft deutscher Verbraucher*innen für spezielle Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und diverse gesundheitliche Dienstleistungen, sowie überzeugende medizinökonomische Berechnungen bezüglich der Folgekosten einiger Krankheiten u. ä. sprechen sogar dafür, dass sich Ärztinnen und Ärzte mit Ernährung in der Behandlungspraxis auseinandersetzen. Zunehmend drängt sich die Frage auf, ob die geführte Debatte wissenschaftlich adäquat und ausreichend differenziert geführt wird. Die Literatur spricht für eine multidisziplinäre Auseinandersetzung.
Genau diesen „Blick über den Tellerrand“ wagte das erste Tischgespräch der Dr. Rainer Wild-Stiftung am 08.07.2020, an dem sich 100 Teilnehmer*innen beteiligten. Es trug den Titel „An apple a day: Ernährung als Teil der ärztlichen Behandlung“ und widmete sich dem Einfluss möglicherweise zugrundeliegender Einstellungen zur Ernährung. Gleichzeitig war es der erfolgreiche Auftakt einer dreiteiligen Premiere digitaler Veranstaltungsformate für die Dr. Rainer Wild-Stiftung. In einem Impulsvortrag präsentierte Jana Steindl, Mitarbeiterin der Dr. Rainer Wild-Stiftung, die Ergebnisse ihrer Studie von 2019, in der sie Einstellungen und Wahrnehmungen von Ärztinnen und Ärzten gegenüber Ernährung im Kontext von Klinik und Praxis untersucht hatte. Diese erlaubten differenzierte Einblicke in die vielfältigen und unterschiedlichen, sehr positiven wie auch negativen Einstellungen, die sich jeweils auch in der Umsetzung von Ernährung in der ärztlichen Behandlung widerzuspiegeln scheinen. Zweites Fazit der Studie war die Erkenntnis, dass das Thema Ernährung dringend Eingang in die Aus- und Weiterbildung finden muss. In der anschließenden Diskussion bestätigte das ausgewählte Expertenpanel die bedeutende Rolle der Ärztinnen und Ärzte in ernährungspräventiven und -therapeutischen Fragen, gaben in ihren Statements „Best Practice“-Beispiele dafür, wie erfolgreiche Ernährungsversorgung gelingen kann und boten den Zuhörenden wertvolle Antworten auf die zahlreichen eingereichten Fragen.
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Kontakt
Jana Steindl
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
B.Sc. Oecotrophologie
M.Sc. Ernährungswissenschaften
Tel.: +49 6221 7511-234
jana.steindl@gesunde-ernaehrung.org